Was bringt die 4-Tage-Woche: Mehr Freiheit oder mehr Stress?

Vier-Tage-Woche

Es klingt erst einmal verdammt gut: Drei Tage frei, vier Tage arbeiten. Ein längeres Wochenende, mehr Zeit für sich, für die Familie, für Freunde. Was überraschend ist: Die 4-Tage-Woche ist keine Utopie mehr. Belgien und Island machen es schon seit einigen Monaten vor. Großbritannien probiert es in einem Pilotversuch gerade aus. Auch deutsche Unternehmen sammeln vereinzelt bereits Erfahrungen mit dem neuen Arbeitszeitmodell.

Die Frage, die sich stellt:

Ist die kurze Woche ein Fortschritt? Verbessert sie tatsächlich unsere Work-Life-Balance? Oder erhöht die 4-Tage-Woche am Ende nur den Stress? Ein Pro und Contra

Ein neues Arbeitszeitmodell sorgt für Aufsehen

Grafik.4-Tage-Woche

In den vergangenen Jahren hat sich die Arbeitseinstellung vieler Menschen gewandelt. Immer mehr Angestellte ziehen eine Lebensweise in Zweifel, bei der sie fünf Tage die Woche acht Stunden und mehr im Job verbringen. Sie wünschen sich mehr Zeit und mehr Freiheit.

In Deutschland zum Beispiel gaben 71 Prozent der Befragten in einer Forsa-Umfrage an, dass sie lieber vier statt fünf Tage in der Woche arbeiten würden. Vor allem jüngere Menschen streben nach einer besseren Work-Life-Balance. Sie wollen arbeiten, um leben zu können. Und nicht leben, um zu arbeiten.

Die Pandemie hat den Wertewandel beschleunigt. Zugleich hat sich der Arbeitsmarkt gedreht: Noch nie gab es in Deutschland so viele freie Stellen wie jetzt.

Um wettbewerbsfähig zu bleiben, bemühen sich Unternehmen explizit auf die Bedürfnisse ihrer (potenziellen) Arbeitnehmer einzugehen und neben Zusatzleistungen auch Arbeitszeitverkürzungen anzubieten.  

Es gibt verschiedene Modelle der 4-Tage-Woche. Diskutiert und ausprobiert werden derzeit diverse Varianten, die sich stark voneinander unterscheiden. 

  • eine 4-Tage-Woche mit unveränderter Zahl der Arbeitsstunden und gleicher Bezahlung. Die Arbeitszeit wird einfach anders verteilt, sodass sich ein zusätzlicher freier Tag in der Woche ergibt
  • eine 4-Tage-Woche mit kürzerer Arbeitszeit und entsprechendem Lohnausfall
  • eine 4-Tage-Woche mit kürzerer Arbeitszeit und vollem Lohnausgleich

Ein kurzer Rückblick in die Geschichte der Arbeitszeitmodelle zeigt: Die Einführung der 5-Tage-Woche war ein riesiger Fortschritt.

Bis weit ins 20 Jahrhundert hinein dauerte es, bis sich das arbeitsfreie Wochenende durchgesetzt hat. In Deutschland war es erst 1956 nach einem langen Gewerkschaftskampf so weit. Bis dahin galt die 6-Tage-Woche mit dem Sonntag als einzigem Ruhetag.

Die 4-Tage-Woche und ihre Vorteile:

Ein arbeitsfreier Wochentag verschafft Mitarbeiter*innen, die in Vollzeit arbeiten, mehr Luft im durchgetakteten Alltag. Man kann ihn beispielsweise für Arzttermine oder Behördengänge nutzen. Somit ergibt sich mehr Zeit für die Familie, für persönliche Interessen oder um Sport zu treiben – den intensiven Work-out verschiebt man endlich nicht wieder, weil die Zeit zu knapp ist.

Für Menschen, die eine Wochenendbeziehung führen, lohnt sich die Heimreise eher. Auch hat man die Möglichkeit, sich neben der Arbeit ehrenamtlich oder politisch zu engagieren. Oder soziale Kontakte zu pflegen.

Stress und Überlastung sind beides negative Faktoren, welche in den vergangenen Jahren in vielen Berufen stark gestiegen sind. Eine kurze Arbeitswoche schafft dafür einen idealen Ausgleich. Die Work-Life-Balance (zwischen Arbeitsleben und Privatleben) verbessert sich dadurch.

Unternehmen berichten positiv über die Auswirkungen der 4-Tage-Woche auf die Mitarbeitenden. Sie seien zufriedener und weniger gestresst. Die Arbeitgeber erhoffen sich davon einen Rückgang der Burn-outs, Krankmeldungen und eine Zunahme der Produktivität.

Die verkürzte Woche kann intelligentes Arbeiten fördern. Denn sie stellt einen Anreiz da, die große Zahl an Meetings zu begrenzen und ineffiziente Workflows zu verbessern.

Beschäftige können somit konzentrierter arbeiten und sind weniger abgelenkt.

Das Angebot der 4-Tage-Woche ist für Firmen eine Möglichkeit, auf dem derzeit stark überhitzten Arbeitsmarkt attraktiver gegenüber der Konkurrenz dazustehen. So hat auch die Suche nach Personal bessere Chancen. Wer die Wahl zwischen mehreren Arbeitgebern hat, lässt sich womöglich durch die Aussicht auf ein langes Wochenende locken.

Die 4-Tage-Woche und ihre Nachteile:

Frau mit Kopfschmerzen

Weil ja durch das Arbeitszeitmodell der 4-Tage-Woche einer von fünf Tagen wegfällt, nimmt die gefährliche Verdichtung der Arbeit weiter zu.

Der Job-Alltag wird mit noch mehr Terminen und Meetings vollgestopft. Der Druck und die Hetze wachsen auf die Mitarbeiter*innen.

Schon heute sagen 80 Prozent der Befragten, dass ihre Aufgaben in der regulären Arbeitszeit nicht zu schaffen ist. Das ergab eine Umfrage der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin.

Bei unveränderter Arbeitszeit kann man annehmen, dass sich die 4-Tage-Woche bei einem 9- bis 10-Stunden-Tag negativ auf die Leistungsfähigkeit auswirkt. 

Weniger arbeiten bedeutet mehr organisieren. Damit zum Beispiel Kunden immer einen Ansprechpartner im Unternehmen erreichen können, muss ein ziemlich großer Aufwand betrieben werden. Überhaupt werden Absprachen schwieriger. Denn ein großes Hindernis ist, dass wir vorerst noch in einer Arbeitswelt der 5-Tage-Woche leben.

Es wird schwieriger, Urlaubs- und Krankheitsvertretungen zu planen. Weil die Mitarbeiter*innen kaum noch Leerlauf haben, können sie nicht mehr für fehlende Kolleg*innen einspringen.

Die Zahl der freien Stellen befindet sich derzeit auf einem Allzeithoch. Daraus ergibt sich die Frage, wie Arbeitskräftemangel und Arbeitszeitverkürzungen hier zusammenpassen sollen.

Erfahrungen aus dem Joballtag

Es wird derzeit nicht nur viel diskutiert über die 4-Tage-Woche, sondern auch viel experimentiert. Folgende Firmen haben die 4-Tage-Woche getestet: 

  • 2016 ist die Marketingagentur Tiger auf das Arbeitszeitmodell der 4-Tage-Woche umgestiegen. Die Beschäftigten arbeiten nur noch 32 Stunden – bei vollem Gehalt.
    Entschieden wurde im Unternehmen, dass der Freitag der dritte freie Tag in der Woche sein soll. Das Geschäft ging nicht zurück. Im Gegenteil: Tiger-Chef Sven L. Franzen erzählt, dass die Mitarbeiter*innen jetzt mehr Disziplin, Motivation und Einsatz zeigen. „Der freie Tag ist jede Woche ein Geschenk“, sagt er. *
  • In Großbritannien probieren gerade 70 Firmen in einem Pilotversuch aus, ob sie bei gleichem Gehalt auch einen Tag weniger arbeiten können. Das Experiment gilt als der größte Test dieser Art weltweit. Mit dabei ist der kleine Versandhandel Bookishly aus Northampton.
    Die Gründerin Louise Verity suchte nach zwei Jahren Pandemie mit ihrem Team nach einer Möglichkeit, Stress und Zeitnot zu reduzieren und dem Wunsch nach mehr Freiraum zu entsprechen.
    Bei Bookishly haben sie den dritten freien Tag auf den Mittwoch gelegt, damit sich am Wochenende nicht die unbearbeiteten Bestellungen auftürmen.
    Für Louise Verity erwies sich die Umstellung auf die 4-Tage-Woche als anstrengender als erwartet. „Weniger Arbeit bedeutet erst einmal, mehr organisieren zu müssen“, sagt sie. Doch für ihre Firma habe sich der Versuch gelohnt. „Es ist die richtige Sache. Wir ziehen das durch“, sagt die Bookishly-Chefin.**
  • Die Berliner Firma Vorn Strategy Consulting hat bereits im Juni 2020 die 4-Tage-Woche eingeführt. Die Arbeitszeit wurde auf 80 Prozent und die Einkommen auf 90 Prozent gekürzt. Man verliert also 10 Prozent des alten Gehalts.
    Die Einführung des neuen Arbeitszeitmodells war nicht problemlos.
    Dennoch ist man mit der Umstellung bei der Beratungsfirma hoch zufrieden. Die kurze Woche hat sich positiv auf das Wohlbefinden, die Motivation und die Produktivität der Mitarbeiter ausgewirkt.
    „In den vier Tagen arbeiten wir effizienter und intensiver. Wir verzichten auf unproduktive Abstimmungs-Meetings und wählen schnellere Wege“, berichtet die Vorn-Geschäftsführerin Theresa Schleicher.***
  •  
Bürotisch Mitarbeiter

Hat die Vier-Tage- Woche eine Chance?

Der Freitag wird nicht zum neuen Samstag werden. Jedenfalls nicht so schnell und nicht für den Großteil der Gesellschaft. Für eine Bank, eine Werbefirma oder eine Telekomfirma mag es möglich sein, auf die Vier-Tage-Woche umzusteigen. Kaum realistisch dürfte das zum Beispiel in weiten Teilen der Industrie, der Gastronomie oder des Gesundheitswesens sein. 

Aber: Das Thema 4-Tage-Woche ist brandaktuell. Rund um die Welt werden Versuche gestartet, in denen Unternehmen das Arbeitszeitmodell testen. Bedenkt man, dass für die Einführung des arbeitsfreien Samstags jahrzehntelang gekämpft wurde, ist erstaunlich, wie rasch sich das Interesse an der kurzen Woche heute ausbreitet. Es zeigt, dass beide Seiten – Unternehmen und Beschäftigte – gute Gründe haben, sich auf das Experiment einzulassen.

Was halten Sie von der 4-Tage-Woche?

Glauben Sie, dass die 4-Tage-Woche die Beschäftigten zufriedener und produktiver macht?

Schreiben Sie uns das gerne in die Kommentare.

Newsletter

Melden Sie sich zu unserem Newsletter an, um auf dem Laufenden zu bleiben.

Wir verwenden Brevo als unsere Marketing-Plattform. Wenn Sie das Formular ausfüllen und absenden, bestätigen Sie, dass die von Ihnen angegebenen Informationen an Brevo zur Bearbeitung gemäß den Nutzungsbedingungen übertragen werden.